Tour du Nord: Fernradler-Begegnungen
Walter resümiert: Auch wenn wir uns etwas gemächlicher fortbewegen und auch längere Bus- und Bahntransfers nicht verschmähen, gehören wir noch irgendwie dazu, zur Spezies der Fernradler. In Dänemark sind sie uns noch nicht so aufgefallen, wahrscheinlich gab es recht viele davon, aber auch da kreuzten sich Wege, beispielsweise bei einer Bahnfahrt. Ein junges Ehepaar (aus Indien?) mit Kind, freundlich, zuvorkommend im Umgang , und gleichzeitig souverän im Benehmen. Die beiden hatten in Kopenhagen Fahrräder und einen Anhänger gemietet und waren dabei, Dänemark auf diese Art zu erkunden. Die Leihräder sind keine Renner, die Fahrleistungen liegen zwischen 30 und 40 km pro 'Tag. Da überbrückt die Eisenbahn einige Streckenlücken. Dann, hoch oben auf der Nordkalotte, zwischen Kirkenes und Kakslauttanen, einige km südlich von Saariselkä, ist die Radlerdichte auf der N4 alias E75 ganz eindeutig dünner als diejenige der Automobilisten. Zwei Mädels (Finninen?) kommen uns zwischen Kaamanen und Inari entgegen. Man grüßt sich per Handzeichen. Später, auf dem großen Tourenfahrerumschlagsplatz Onaskoski-Camping in Rovaniemi ergibt sich mehr Gelegenheit zum Plausch mit anderen Fernradlern. Meist nimmt man zunächst auf der Zeltwiese (die oft nicht in der schönsten und ruhigsten Ecke des Campingplatzes liegt und den besten Untergrund hat) die rad- und übernachtungstechnische Ausrüstung in Augenschein und trifft sich dann in den Sommerküchen oder Aufenthaltsräumen, über die jeder skandinavischen Campingplatz verfügt. Diese Orte sind ideal, um Gespräche über das Woher und wohin, die Tagesleistungen und die Motivation für die Tour zu führen. Natürlich, es sind vor allen Dingen diese magischen Orte wie der Polarkreis, das Nordkap oder Kirkenes als letztem nördlicher Außenposten vor Russland , die als Ziel- oder Ausgangspunkte im Verein mit Ehrfurcht erregenden zu fahrenden bzw. gefahrenen Distanzen in Bann schlagen. Da ist Joe* aus Neuseeland, der Minimalist. Sein umfänglichstes Ausrüstungsstück ist sein Tablet-Computer. Sein Zelt hat sargähnliche Ausmaße. Mag Joe* sein Zelt? Nein, er hasst es, aber es passt überall, auch in der Wildnis, noch hin. Seine Tagesleistungen? So zwischen 150 und 200 km. Viel und schneller Verkehr, den Weg abschneidende Lastwagen können ihn nicht schrecken. Da sei er aus Neuuseeland ganz anderes gewöhnt. Die Strecke Nordkap -- Kap der Guten Hoffnung ist sein Ding. ------------------------------------------- NB Die mit Sternchen (*) versehenen Namen sind erfunden. Julia* und Pablo* aus Katalonien sind ihre Tour etwas anders angegangen. Pablo* ist passionierter Fernradfahrer, Julia* hatte vor ihrer Tour nur hin und wieder einmal zum Einkaufen auf einem Rad gesessen. So haben sie sich das Baltikum und Finnland als Reiseweg ausgesucht. Weil das auf der Karte so flach aussieht. Ihre Erfahrungen in den Ländern die sie durchfahren haben, sind durchweg positiv. Sie sind jetzt in Rovaniemi, dem nördlichsten Punkt ihrer Reise angekommen, Julia* wird von hier, da ihr Urlaub zu Ende geht, nach Barcelona zurückfliegen, Pablo* kann sich offensichtlich frei einteilen und will per Rad zurückfahren. Pablo* und Julias* Fahrleistungen liegen bei 60 bis 80 km pro Tag. Genügend Zeit zum Entspannen, zu Gesprächen, Besichtigungen und zum Kochen zu haben ist den beiden neben dem Radfahren wichtig. Pablo* kann hügligem Gelände viel positives abgewinnen. Man müsse hin und wieder den Tretrhythmus ändern, meint er, andere Sitz- umd Handpositionen einnehmen, sonst werde es zu eintönig. Aus diesem Grunde will er bei seiner Rücktour quer durch Europa auch den Rhine-Ride meiden. Dabei kommt, zusammen mit Joe*, das Gespräch auch auf die Frage, wie es ist, mit Partner(n) oder alleine fahren. Beides habe seine guten Seiten, wirft Joe* mit seiner vielfältigen Erfahrung ein. Gewiss sei aber auf jeden Fall, dass die Entscheidungsabläufe beim Fahren mit Partner weitaus komplexer und langwieriger seien. Im finnischen 'Mittleren Osten' treffen wir auf dem Timitra-Camping in Lieksa, Florian aus Berlin. Lieksa liegt an der Europa-Veloroute Nr. 13 , dem Iron-Curtain-Trail, der er abschnittsweise folgt. Florian ist ein absoluter Fernfahrrad-Enthusiast. Seine optimierte Ausrüstung (Zelt, Fahrrad, Zubehör usw.) ist das Resultat intensiver Recherchen und von viel Erfahrung. Wir freuen uns, ihn künftig bei Bedarf in Sachen Rad und Ausrüstung um Rat fragen zu können. Diesen Sommer hat sich Florian in seinem knapp bemessenem 3-wöchigen Urlaub die Strecke Berlin -Kirkenes vorgenommen. Da darf nicht allzuviel dazwischen kommen. Eine unerwartet schlechte Wegstrecke auf polnischem Gebiet zwischen Berlin und der Ostsee hat bereits wertvolle Stunden gekostet ebenso wie ein Tag in Finnland mit Dauer-Starkregen, der im Zelt abgewettert werden musste (Wir hatten diese Wetterkapriole in Hattuvara im "Holzfällerappartement" ausgesessen '') Für die Etappe Neiden - Kirkenes-Flugplatz plant Florian einen Vormittag ein, um am frühen Nachmittag sein Flugzeug zu erreichen. (Wir waren auf der Tour Kirkenes - Neiden mit einem ganzen Tag zurecht gekommen, hatten vorsorglich aber ein Zwischenbiwak ins Auge gefasst, was wir dann aber doch nicht in Anspruch nehmen mussten.) Florians Tagesetappen liegen zwischen 100 und 200 km. Am selben Tag trifft Stephan aus Berlin im Timitra-Camping ein. Er reist mit etwas leichterem Gepäck, da er für die Nächte in Mökkis oder Hotels Quartier bezieht. Aber ebenso wie für Florian sind die Herausforderungen eines intensiven, anstrengenden Fahrtags mit Tagesleistungen zwischen 150 und 250 km sein Ziel. Die Konzentration auf die Strecke braucht er, um seinen Kopf wieder für seinen nicht minder anspruchsvollen von Stress gekennzeichneten Arbeitsalltag frei zu bekommen. Wenn nötig, beschallt er sich mit dem passenden musikalischen Sound, um beim Bergauf und Bergab in den idealen Tret-Rhythmus zu verfallen. Ebenso wie Florian bevorzugt Stephan zum Transport zu Start- und Endpunkten seiner Fernradtouren das Flugzeug. Beide haben gute Erfahrungen mit den Fluglinien Norvegian Airlines und SAS gemacht. Die Preparation des Fahrrads ist unkompliziert. Es müssen lediglich der Lenker in die Ebene des Fahradrahmens gedreht und die Pedale entfernt werden. Die Ticket-Zusatzkosten sind moderat und insgesamt düfte eine Flugreise inklusive Fahrradtransport deutlich preisgünstiger ausfallen als Bahn-Schiffskombinationen. Freilich kann auch dabei einmal mit Verzögerungen verbundes Ungemach eintreten. Sarah* aus dem UK treffen wir auf dem Campingplatz vor Wismar. Sie folgt dem EuroVeloTrail 13 (IronCurtain) und hat bereitz die Strecke Kirkenes-Wismar (E75, Via Karelia, St. Petersburg, Baltikum usw... ) zurückgelegt. Sie will es bis ans Ende der EuroVelon 13 am schwarzen Meer bzw. in Istanbul durchziehen. In Kirkenes, ihrem Startpunkt saß sie etliche Tage fest, da die Fluggesellschaft, schuldhaft ihr Rad beschädigt hatte und das Gefährt nicht vor Ort in Kirkenes sondern in Oslo wieder flott machen ließ. Sarah ist jung und war engagierte Leichtathletin. Nach einem Sportunfall war ihr als beste Therapie Radfahren angeraten worden, was sie nun intensiv betreibt. Zeit genug hat sie und die nutzt sie. Der gesamten Arbeitsgruppe eines öffentlichen Auftraggebers, in der sie nach dem Studium tätig war, ist gekündigt worden. Auf 'schwierigen' Abschnitten wie in und um St. Petersburg hat Sarah* Freunde, auf die sie sich verlassen kann und sie hat sich für einige Wegstrecken die Belgeitung von Verwandten oder Freunden organisiert. Eine bemerkenswerte Initiative, mit einer solchen über 10000 km langen Strecke klar zu kommen. Wo können wir uns da in der Gemeinschaft des Fernradfahrervölkchens wiederfinden? Mit unseren Tagesleistungen zwischen 35 und 65 km können wir nicht glänzen, aber wir denken, dass wir mit unserer zielführendenn Beharrlichkeit und der Flexibiltät im permanenten Umplanen punkten können. Weniger Radfahrzeit bedeutet andererseits auch mehr Begegnungen (was Pablo*,s.o., richtig bemerkte) und Entdeckungen 'nebenbei'.